Die meisten der rund 1,8 Millionen Menschen mit Demenz in Deutschland leben zu Hause – und wollen da auch so lange möglich bleiben. Doch dort fehlt es ihnen und ihren Familien an Unterstützung. In einem Pilotprojekt wird nun erforscht, wie eine spezialisierte Begleitung durch Pflege, Medizin, Psychologie und Sozialarbeit verbessert werden kann.
In den eigenen vier Wänden fehlt es Menschen mit einer Demenz und ihren Familien häufig an Beratung und passgenauer ambulanter Unterstützung. Die Folge: Der Abbau ihrer kognitiven Fähigkeiten geht schneller voran, die Angehörigen geraten schneller in Überlastungssituationen und stationären Aufenthalten im Krankenhaus oder im Pflegeheim wird Vorschub geleistet. „Menschen mit einer Demenz fühlen sich oft zu Hause wohler und dort kann individueller auf sie eingegangen werden. Weil Angehörige deren Verhalten häufig nicht verstehen und nicht ausreichend Hilfe erhalten, kommt es zu Überforderung. Dies kann dazu führen, dass Menschen mit Demenz akut in ein Krankenhaus eingewiesen werden oder dauerhaft in eine Altenhilfeeinrichtung ziehen. So nehmen menschliches Leid und Versorgungskosten zu“, kritisiert die Pflegewissenschaftlerin und Soziologin, Dr. Doris Arnold von der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen.
Aus diesem Grund haben die Malteser unter dem Namen „Spezialisierte ambulante Begleitung von Menschen mit Demenz und ihren Familien“ (SABD-Fam) ein Modellprojekt in Auftrag gegeben, das auch Teil der „Nationalen Demenzstrategie der Bundesregierung“ ist. Das Projekt hat nun in Ellwangen/Ostalbkreis begonnen. Darin werden für die betroffenen Familien spezielle „Fachberatende für Demenz“ eingesetzt. Die Fachberatenden begleiten die Familien kontinuierlich über einen längeren Zeitraum und analysieren zusammen mit einem interdisziplinären Team aus Hausärzten, Psychotherapeuten, Pflegekräften und Sozialarbeitern die individuellen Problematiken der betroffenen Person und ihrer Familie.
Nach dieser systematischen Einschätzung der individuellen Probleme in den Familien bringen sie geeignete Hilfen auf den Weg. Sie wollen so helfen, Menschen mit einer Demenz angemessen und würdig zu begleiten und Angehörige davor bewahren, von der Pflege und Betreuung völlig überfordert zu werden. „Wir wollen durch die Fachberatenden dafür sorgen, dass die zur Verfügung stehenden Hilfen optimal genutzt werden können. Ähnlich der spezialisierten ambulanten palliativen Versorgung für schwerkranke Menschen spielt auch für Menschen mit Demenz das Leben in der vertrauten Umgebung und mit den vertrauten Menschen eine entscheidende Rolle für die Lebensqualität“, sagt Nina Basteck, Leiterin der Fachstelle Demenz der Malteser in Deutschland.
Die Fachberaterinnen und Fachberater werden in einem Zertifikatskurs auf ihre Aufgabe vorbereitet. Der Lehrgang auf wissenschaftlichem Niveau versteht sich als Weiterbildung für Pflegefachkräfte und Sozialarbeiter. Er wird von der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen angeboten. Zwei angehende Fachberaterinnen arbeiten bereits in dem Modellprojekt in Ellwangen mit.
Konzipiert wurde das eineinhalbjährige Projekt von der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und den Maltesern als Auftraggeber. Der Wittener Pflegewissenschaftler Dr. Bernhard Holle vom DZNE wird die Faktoren analysieren, die zum Gelingen einer guten ambulanten Betreuung beitragen. „Die Zusammenarbeit von medizinischen, pflegenden, psychotherapeutischen und sozialen Fachkräften sowie der Angehörigen ist in diesem Projekt schon recht komplex. Wir wollen die Aufgaben, Kompetenzen, Bedürfnisse und Abstimmungsprozesse zwischen den Akteuren identifizieren und beschreiben.“
Für die Soziologin Arnold auch wichtig: „In diesem partizipativen Forschungsprojekt beziehen wir die Beratenden, die Betroffenen und die Angehörigen als Forschende mit ein. Dadurch kommen wir noch näher an die Probleme und mögliche Lösungen heran.“
In einer deutschlandweiten Auswahl unter möglichen Malteser Standorten hatte sich der Ostalbkreis durchgesetzt. Hier bieten die Malteser bereits zahlreiche Hilfen für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen an. Dazu gehören das Café Malta, eine Einrichtung in der Personen mit Demenz für einige Stunden in besonders auf sie abgestimmter Umgebung begleitet werden. Außerdem versorgt der ambulante Pflegedienst mehr als 700 Personen, von denen ein großer Teil von kognitiven Einschränkungen einer Demenz betroffen ist. Zum Auftakt der interdisziplinären Zusammenarbeit im Rahmen des Projekts kamen am Donnerstag Ärzte, Psychotherapeuten, Pflegekräfte, Sozialarbeiter aber auch Verantwortliche aus Politik und Verwaltung zu einer Fachtagung in Ellwangen zusammen.
Im Frühjahr 2025 wird das Pilotprojekt abgeschlossen. Begleitend sollen Beratungen über mögliche Finanzierungswege dieser interdisziplinären Versorgungsleistung durch die gesetzlichen Kassen stattfinden. Die Erkenntnisse können dann als Grundlage genutzt werden, um in einer weiteren Studie die Wirksamkeit der Hilfen nachweisen zu können. Wenn dieser Nachweis erbracht ist, können die Leistungen dauerhaft von den Kassen finanziert werden. Bis dahin bleibt die Demenzversorgung zu erheblichen Teilen auf Spenden angewiesen.